Zeit Online hat ein Tool veröffentlicht, in dem man sich anschauen kann, zu welcher Zeit wie oft über ein bestimmtes Thema im Bundestag gesprochen wurde. Die Reden der letzten 70 Jahre haben sie dafür gesammelt und grafisch analysierbar gemacht. Zunächst eine nette Spielerei, aber bringt einen doch schnell darauf, dass man gewisse Muster erkennt, die nicht unbedingt ein gutes Licht auf die Politik werfen.
Inhalt
Wiederkehrende Themen
Jeder kennt den heimlichen Vorwurf, dass Politiker kurz vor einer Wahl viel versprechen und dann doch nicht sonderlich viel davon nach der Wahl umsetzen. Natürlich ist das nicht ganz so einfach umsetzbar, wie man sich das vielleicht vorstellt. Nur weil eine Partei mit einem Programm gewählt wird, kann sie dies ja nicht 1:1 umsetzen. Es muss mit den anderen Abgeorndeten anderer Parteien verhandelt werden, Einigungen kommen oft schon aus Opposition nicht zu Stande. Demokratie heißt schließlich immer auch: Kompromiss. Das ist vom System her gut und richtig, denn ansonsten würde das System nicht funktionieren. Auch ist wichtig und richtig, dass Parteien mit klaren Statements und Forderungen in den Wahlkampf gehen. Sie müssen sich positionieren, damit der Wähler weiß, wen er dort wählt und wer seine eigenen Interessen bestmöglich im Bundestag versuchen wird zu vertreten.
Dennoch kommt man auch nicht umhin, den Wahlkampf-Klassiker auffällig häufig in Korrelation mit Wahlen zu sehen: Das beliebte Thema Steuererleichterung wird periodisch häufiger erwähnt. Und zwar passend kurz vor und zu Wahlen – zumindest zwischen 1980 und 2009 (gekennzeichnet mit einem weißen Pfeil). Davor und danach tritt das Thema nicht mehr korreliert mit Wahlen auf.

Spät einsetzende Themen
Kommen wir von den wiederkehrenden Themen zu solchen, die rasant an Wichtigkeit gewinnen – nur leider ziemlich spät. Das beginnt bereits mit der Digitalisierung – der wohl größte Treiber des 21. Jahrhunderts, die neue industrielle Revolution. Und unsere Politiker? Die haben erst 10-15 Jahre später angefangen über das Thema überhaupt zu sprechen. Als schon längst klar war, dass mehr Informationen digital gespeichert werden können, als analog. Als die Telekommunikationskapazität schon Jahre zuvor zu 98% abgeschlossen war. Als Facebook schon lange existierte.

Nicht anders sieht es natürlich mit dem Schlagwort “Klimakrise” aus. Nachdem es 2008/2009 einen kuren Ruck im Bundestag gab, verebbte das Thema bis vor wenigen Jahren wieder. Dabei warnen Wissenschaftler seit den den 70er Jahren immer wieder vor der Erderwärmung, seit dem 90ern gibt es Computermodelle, die den Effekt von Treibhausgasen auf das Klima vorhersagen und berechnen. Sogar in der ersten Staffel der Serie Gilmore Girls (Jahr 2000) kommt das Thema schon zur Sprache.

Reaktion statt Aktion
Wie kommt es also, dass Politiker so selten rechtzeitig über wichtige Themen sprechen? Über DIE wichtigen und bestimmenden Themen unserer Zeit. Ganz einfach: Politik fehlt der Weitblick eines Managements. Sie reagieren, statt zu agieren. Dafür muss man sich nur einmal die Twitter-Accounts der meisten Politiker anschauen – am Besten, nachdem ein wichtiges Ereignis in den Medien diskutiert wird. Man kann sich sicher sein, dass die Politiker nach und nach auch alle etwas dazu sagen. Das mag bei tagesaktuellen Geschehen noch vertretbar sein, wird aber schwierig, wenn wichtige, größere Themen dafür verschlafen werden.
Der – meiner Meinung nach – große Fehler im System: Es gibt keine längerfristigen Ziele und Strategien in der Politik. Populäre Themen werden aufgegriffen, um bei Wahlen Stimmen zu sichern oder sich zu positionieren. Wenig hat dies aber damit zu tun, dass tatsächlich ein Plan verfolgt wird. Umso spannender fand ich die Aussagen von den FDP-Politikern Carl-Julius Cronenberg und Thomas Sattelberger in der Wirtschaftswoche (41/2019). Beide kommen aus der Wirtschaft und haben Unternehmen geführt, bei denen sie die Zukunft planen mussten. Ziele wurden festgelegt, eine Strategie zur Erreichung der Ziele erarbeitet und dann auf die Ziele hin gearbeitet. Etwas, das der Politik fehlt. Ihre Beobachtung: ‘Was die Regierung unternehme, seien “reine PR-Maßnahmen, das hat mit Strategie nichts zu tun.”‘ (S. 33, 4.10.2019/ WirtschaftsWoche 41).*
Das sind Punkte, die von außen auffallen und sich mit dem decken, was die Analysen der Bundestagsreden implizieren. Sobald ein Thema akut wird, werden Strategiepapiere aufgesetzt, die allerdings zu spät, zu wenig liefern.
Wie kann es besser gehen?
Das ist hier natürlich die entscheidende Frage – und wenn es darauf die pauschale Antwort gäbe, wäre das Leben deutlich leichter. Meiner Auffassung nach, muss Politik schneller werden, sich mehr reiben und daraus Strategien entwickeln. Warum sprechen wir nur in der Industrie über New Work, agile Mindsets und dem lebenslangen Lernen? Warum nehmen so wenige Politiker sich genau das zu Herzen und schauen über den Tellerrand? Warum ist der Altersschnitt im Bundestag noch immer bei 50 Jahren – einer Generation, deren digitale Teilhabe vor zwei Jahren noch bei nur 16% lag? Und wieso haben wir so wenig Frauen wie seit 1998 nicht mehr im aktuellen Bundestag, dafür aber die Berufsgruppe Jurist mit knapp 15% als Stärkste vertreten?
Es gibt zu viele Einseitigkeiten in der aktuellen Politik, zu wenig Menschen, die andere Blickwinkel und Wissen um andere Problematiken ansprechen (können). Die fehlende Diversität verlangsamt Politik meiner Meinung nach, denn es entstehen kaum Reibungen innerhalb der Parteien und stattdessen mehr zwischen den Parteien. Während Zweiteres niemals fehlen darf, sollte aber auch Ersteres ein fester Bestandteil der Politik sein, um zu gewährleisten, dass Politiker schneller agieren, sich weiter entwickeln und weiter bilden. Es gibt mittlerweile genug Studien die belegen, dass Diversität im Management zu größeren Erfolgen führt. Und gutes Management bringt bessere Strategien hervor. Betrachten wir die Politiker doch endlich einmal als Manager und verlangen, dass sie ihre Aufgabe genau so meistern, wie es Unternehmen mittlerweile tun, die weiter bestehen wollen: mit Umdenken und dem Willen, weiter zu lernen.
Was meint ihr: Was fehlt in der Politik, was kann besser gemacht werden? Ich freue mich auf eure Anregungen!
*Aus Transparenzgründen gebe ich an dieser Stelle freiwillig an, dass ich Mitglied der FDP bin. Meine Meinung deckt sich hier aber unabhängig von meiner politischen Ausrichtung mit den Aussagen der beiden Politiker.
Folgt mir gerne auf Twitter für mehr Diskussionsstoff.
Bildnachweis: Photo by Ansgar Scheffold on Unsplash
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